Derzeit geht es in Verhandlungen zwischen den Vertretern der Ärzteschaft und der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) Niederösterreich um die Honorierung und Abrechnung ärztlicher Leistungen. Seitens der niedergelassenen Ärzte in NÖ befürchtet man, angesichts der hohen Inflationsrate, große Einbußen hinnehmen zu müssen. Der Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in Niederösterreich, Dr. Max Wudy, nimmt Stellung zur anstehenden Problematik. (Wudy befindet sich nach schweren orthopädischen Eingriffen derzeit selbst im Spital.)

Hausarzt:konkret: Besteht für die niedergelassene Ärzteschaft die Gefahr, dass sie nach den laufenden Verhandlungen zwischen Ärztekammer und ÖGK Einbußen hinnehmen muss?

Dr. Max WUDY: Leider ja. Wenn man sich den Ausgang der Honorarverhandlungen zwischen ÖGK und Ärztekammern in den anderen Bundesländern ansieht, die alle weit unter der Inflationsrate abgeschlossen haben, besteht auch in Niederösterreich diese Gefahr.

Hausarzt:konkret: Wenn dies also auch in NÖ eintritt, könnte es Protestmaßnahmen seitens der Ärzteschaft geben. Im schlimmsten Fall werde sogar eine Kündigung der Vertragsverhältnisse mit der ÖGK erwogen. Was wäre die Konsequenz daraus?

WUDY: Die Letztentscheidung über Zustimmung oder Ablehnung des Verhandlungsergebnisses liegt einzig und allein bei der Kurienversammlung der Niedergelassenen in Niederösterreich. Und zwar nach einem ausführlichen Bericht des Verhandlungsteams, voraussichtlich gegen Ende Juni. Möglich ist somit die Annahme des Verhandlungspakets oder, wenn nicht – im schlimmsten Fall – leider auch eine Vertragskündigung mit der ÖGK.

Hausarzt:konkret: Was wären die Konsequenzen einer Vertragskündigung mit der ÖGK?

WUDY: Vorerst gäbe es keinerlei Konsequenzen, da aufgrund des Fristenlaufs die Kündigung frühestens Ende 2024 eintritt. Allerdings, und das ist das Unangenehme: Es gäbe für die Kassenärzte für 2022 nur eine Honorarnachzahlung in Höhe von 2,29 Prozent.

Hausarzt:konkret: Warum sind die Verhandlungen zwischen ÖGK und Ärztekammer jedes Jahr dermaßen emotional und für einen Teil der Ärzteschaft so frustierend?

WUDY: Die letzten zehn Honorarverhandlungen waren nicht emotional sondern nüchtern, ruhig und professionell geführt. Das kann ich sagen, da ich, bis auf einmal, Teil des Verhandlungsteams war und das Geschehen unmittelbar miterlebte. Das Ergebnis brachte schlussendlich einen deutlichen Benefit für die gesamte Ärzteschaft. In dieser Zeit wurde der Verbraucherpreisindex – kumuliert betrachtet – um über zehn (!) Prozent übertroffen. Das wird oft übersehen oder nicht wahrgenommen. Allerdings ist klar, dass bei diesen hohen Summen im dreistelligen Euro-Millionenbetrag Emotionen auftreten. Es geht um große Summen und viel Verantwortung.

Hausarzt:konkret: Die Politik hat jüngst öffentlich eingestanden, in den letzten 15 Jahren Reformen im Gesundheitswesen verschleppt zu haben. Man kündigt nun endlich Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung an. Darunter auch die Rekrutierung von anfangs 100 und in folgenden Jahren bis zu 500 neuen Kassenärzten? Was sagen Sie dazu?

WUDY: 500 neue Kassenärzte klingt aufs Erste gut, aber im Endeffekt geht es um 900 nicht besetzbare Stellen. Das beruht auf Versäumnissen der Politik, die nicht 15 sondern bereits an die 30 Jahre zurückgehen.

Hausarzt:konkret: Haben wir zu wenig Ärzte?

WUDY: Nein, es mangelt in Österreich nicht an Ärzten per se, sondern speziell an Kassenärzten! Um dem mittel- und langfristig entgegenzuwirken, muss endlich das Gesundheitssystem verbessert, die Stellen von Kassenärzten attraktiviert und die Honorarsituation an die täglichen Gegebenheiten angepasst werden. Nur, um einiges zu nennen.

Die Zahl der Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag nahm zwischen 1970 und 2020 um MINUS 2,8 Prozent ab! In absoluten Zahlen: 1970 gab es noch 3.458 Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag. Im Jahre 2020 waren es nur mehr 3.362. Gleichzeitig stieg die Zahl der Bevölkerung um 19,4 Prozent, also von 7,5 Mio Einwohner auf 8,9 Mio.

Bezeichnenderweise nahm die Zahl der Kassenärzte bei den praktischen Ärzten zwischen 2000 bis 2020 gar um 15,1 Prozent ab. Denn 2000 gab es einen Höchststand von 3.958 Allgemeinärzten mit Kassenvertrag und 2020 eben nur mehr 3.362.

Erstaunlicherweise stieg die Zahl der Wahlärzte von 1970 bis 2020 um 1060,8 (!) Prozent. In absoluten Zahlen: 1970 betrug die Zahl der Wahlärzte noch 1.302 Personen; 2020 waren es schon 15.114. Das sagt doch einiges aus!

Es gibt ein englisches Sprichwort das lautet „it doesn’t matter how many resources you have. If you don’t know how to use them, they will never be enough“. In etwa übersetzt: „Man kann noch so viele Ressourcen haben, wenn man sie nicht einzusetzen weiß, bringen sie nichts.“ Das heißt, in Österreich gibt es eine durchaus erkleckliche Anzahl an Ärzten – allerdings wird deren großes Potenzial nicht an den richtigen Stellen eingesetzt und steht daher auch nicht der allgemeinen, uneingeschränkten und kassenärztlichen Gesundheitsversorgung zur Verfügung.

Max Wudy ist Allgemeinmediziner und Vizepräsident der NÖ-Ärztekammer sowie Obmann der Kurie der niedergelassenen Ärzte in Niederösterreich. Er führte das Gespräch vom Spital aus, wo er sich nach drei schweren orthopädischen Eingriffen derzeit in Behandlung befindet. Wudy kann deshalb auch nicht, wie ursprünglich vorgesehen, die aktuelle Verhandlungsleitung zwischen NÖ-Ärztekammer und ÖGK seitens der Niedergelassenen wahrnehmen.

(wp/12JUN2023)

Foto: Anzahl der Ärzte im Laufe der Dekaden. (Statistik Austria)

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