Ein Treffen von 134 Gesundheitsverantwortlichen aus aller Welt vor bald 44 Jahren in der damals noch neuen kasachischen Hauptstadt Alma Ata sollte die medizinische Primärversorgung neu definieren. Integrativ, gemeinschaftsorientiert und viele daseinsübergreifende Bereiche des Menschen zur Förderung von Gesundheit, Vorbeugung von Krankheiten und Bereitstellung von Heil- und Rehabilitationsleistungen sollten eingebunden sein. Im September 2018 – also vor dreieinhalb Jahren – stellte man bei einem neuerlichen Treffen der Gesundheitsverantwortlichen fest: Die medizinische Grundversorgung habe sich global verbessert. Konzept und Rüstzeug wurden aktualisiert und stetig weiterentwickelt.

Bequemlichkeit und Angst vor Entscheidungsprozessen

So weit so gut. In Österreich war bereits viel davon in ausgeprägter Form vorhanden. Etwa im niederschwelligen Bereich der Hausärzte bis hin zu hochspezialisierten Institutionen, Ambulanzen und Kliniken.

„Seit Jahren ist allerdings Sand im Getriebe“, meint Hausarzt Dr. Max Wudy, der die mühsamen Verhandlungsebenen als Interessensvertreter für Ärzte selbst kennt. „Einerseits“, so Wudy, „verfolgt die Politik durchaus eigene Interessen, andererseits blockieren Ärztevertreter in maßgeblichen Positionen mitunter und schaden damit dem Fortschritt“. Das erfolge nicht immer mit Absicht, analysiert Wudy, „sondern oft aus Unwissen, wie politische Entscheidungsprozesse ablaufen und wie wichtig Kommunikation und Meinungsbildung sind.“ Fallweise komme noch Bequemlichkeit und Überforderung dazu. Manchmal auch Angst, sich mit der Politik und Vertretern der Gesundheitsverwaltung anzulegen. „Wenn Ärztevertreter in unterschiedliche Richtung statt an einem Strang ziehen, ist das wenig zielführend,“ meint Wudy.

Auf Ärzte- und Pflegepersonal wird oft vergessen

Eines ist jedenfalls klar ersichtlich: Viel wurde seit dem Treffen in der kasachischen Hauptstadt in „Hardware“, also hypermoderne Technik und Infrastruktur investiert, um „multisektoral“ arbeiten zu können. Auch in Verwaltungsapparate und Organisationsstrukturen floss viel Geld. Auf die „Humanressourcen“, also das Personal, wie Mediziner und Pflegekräfte und deren Ausbildung, vergaß man teilweise. Das begann bei den Personalkosten in Spitälern und setzte sich bis ans Ende der Kette, nämlich in den niederschwelligen Bereich, fort: den Hausärzten. Viele Leistungen, die Ärzte in ihren Ordinationen erbringen und die wichtig für ein funktionierendes Gesundheitswesen im Sinne der Deklaration von Alma-Ata wären, werden nicht einmal abgegolten.

Beispiel Ultraschalluntersuchungen

Ein ganz aktuelles Beispiel sind etwa Ultraschalluntersuchungen. Für viele Ärzte kommt die Anschaffung eines Ultraschallgeräts einem Hobby oder Liebhaberei gleich. Ersetzt bekommen sie weder die Anschaffungskosten noch die damit getätigten Untersuchungen an ihren Patienten. Hausärzten ist es in der Regel ein großes Anliegen, bestmögliche Diagnosen zu erstellen und damit ebensolche Therapien für ihre Patienten einzuleiten. In einer Ordination beginnt also das multisektorale Arbeiten, wie es in Alma-Ata definiert wurde.

Je besser eine Ordination ausgestattet ist, desto eher besteht die Möglichkeit, einem Patienten schnellstmöglich zu helfen. Vorab ohne lange Wartezeiten in externen und meist teuren, weil hochtechnisch ausgerüsteten, medizinischen Einrichtungen. Diese könnten sich vermehrt auf schwere und komplizierte Fälle spezialisieren, womit auch lange Wartezeiten für Untersuchungen abgebaut werden könnten.

Die große Gier im Gesundheitswesen

Diese Basis des Gesundheitswesens, nämlich die niedergelassene Ärzteschaft, wird von Verantwortlichen aus der Politik mitunter gern ausgeblendet. Sie konzentrieren sich lieber auf die „großen Zahlen“, mit denen man Politik machen und salbungsvoll über Einsparungen reden kann. Oder, wie es in den letzten Jahren vermehrt der Fall ist, sie delegieren Gesundheitspolitik an Manager, hinter denen finanzschwere internationale Hedgefonds stehen. Hier gieren Anleger auf Rendite – nicht die beste Voraussetzung für das Gesundheitswesen!  Da werden dann medizinische Einrichtungen aus dem Boden gestampft, euphorisch als Primärversorgungszentren (PVZ) oder -einheiten (PVE) benannt und teilweise durch die öffentliche Hand in einem Ausmaß ge- und unterstützt, von denen kleine Hausarzt-Ordinationen nur träumen können.

PVE nur dort, wo sie sinnvoll sind

Primärversorgungseinrichtungen mögen in bestimmten Bereichen ihre Berechtigung haben. Etwa in urbanen Gebieten. Sie entlasten Spitalsambulanzen und ermöglichen an einem Ort, was Diagnose und Therapien fördert. Auch mit verpflichtenden attraktiven Öffnungszeiten. Wenig ideal sind sie, so sind sich Fachleute einig, in dünn besiedelten ländlichen Bereichen. Hier funktioniert das System der niedergelassenen Ärzte wesentlich besser: Sie kooperieren über leistungsfähige Netzwerke an naheliegenden Standorten zum Nutzen der Patienten.

Unterschiedliche Niederlassungsformen gleichwertig behandeln!

Der Unterschied zwischen PVE und Hausarztwesen: Ersteres wird seitens der Gesundheitspolitik (derzeit noch) vorteilhafter gefördert. Geht es nach dem Verein Hausarzt:konkret, sollte sich das rasch ändern. Bislang, so heißt es, wurden faire Lösungen von unterschiedlichen Seiten geblockt, teils auch mangelndem Verständnis. Mitunter standen auch maßgebliche Vertreter der Ärzteschaft auf der Bremse und behinderten aus Eigeninteresse notwendige Fortschritte.

Kampf gegen Windmühlen und Blockadepolitik

„Diese Blockade-Politik aus den eigenen Reihen muss nun endlich vorbei sein!“, fordert Max Wudy, Obmann von Hausarzt:konkret. Er kämpft teilweise in der eigenen Interessensvertretung mit Mitstreitern gegen Windmühlen. Viele hoffen, dass die Ärztekammerwahlen am 2. April den Weg zu neuen Ansätzen in der Gesundheitspolitik eröffnen. Notwendig – auch im Sinne der Allgemeinheit – wäre es schon längst…

(wp/03MÄRZ2022)

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Punkt 10 der 40 Jahre alten Deklaration von Alma-Ata: „Ein annehmbares Gesundheitsniveau für alle Menschen auf der Welt bis zum Jahr 2000 lässt sich durch eine umfassendere und wirksamere Nutzung der weltweiten Ressourcen verwirklichen, von denen heute noch ein erheblicher Teil für Rüstungsgüter und militärische Konflikte ausgegeben wird. Bei einer Politik, mit der Unabhängigkeit, Frieden, Entspannung und Abrüstung wirksam gefördert werden sollen, könnten und sollten zusätzliche Mittel freigemacht werden, die friedlichen Zielen und namentlich der Beschleunigung sozialer und ökonomischer Entwicklung dienen können, wobei die primäre Gesundheitsversorgung als wesentlicher Bestandteil den ihr gebührenden Stellenwert einnehmen sollte.“

Die vollständige Deklaration von Astana finden sie hier klicken

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