Der Frust mit der Kammer

Es ist mitunter erstaunlich, wie hart Ärzte mit ihrer eigenen Interessensvertretung ins Gericht gehen und wie hoch die Unzufriedenheit mit dieser teilweise ist. Nach außen hin, bleibt das meist unbemerkt. Umso heftiger brodelt es innerhalb der Ärzteschaft.

In Chat-Gruppen, derer es viele unter Ärzten gibt, manifestiert sich eine teilweise negative Grundstimmung zur Causa Ärztekammer. Sie hat sich gerade in der Corona-Zeit ziemlich aufgeschaukelt. Man fühlt sich von der Interessensvertretung irgendwie allein gelassen. Und auch seitens der Politik wähnt man sich ungerecht behandelt und wenig wertgeschätzt.

Von „der Kammer“ erwartet man sich ein selbstbewussteres Auftreten und gerne hätte man einen Wunderwuzzi als Ärztekammerchef, der alle Probleme löst.  Diese Stimmung wird von Meinungsbildnern innerhalb der Ärzteschaft genutzt, um für sich und für Änderung nach den bevorstehenden Ärztekammerwahlen zu werben.

Diese finden in Abständen von fünf Jahren statt. Heuer ist es wieder soweit. In Niederösterreich wählt die Ärzteschaft am 2. April. Eines steht zumindest bereits fest: Der seit 15 Jahren amtierende Ärztekammerpräsident für Niederösterreich, Christoph Reisner, tritt nicht mehr an. Das Rittern um seine Nachfolge hat begonnen. Ein kurzer emotionaler Wahlkampf, in dem viel Schmutzwäsche gewaschen wird, ist bereits eröffnet.

Hausarzt:konkret hat sich unter der niedergelassenen Ärzteschaft in Niederösterreich umgehört, um ein spontanes Stimmungsbild zum Thema Ärztekammer einzuholen:

Geringe Wahlbeteiligung

„Man traut der Ärztekammer keine starke Vertretung zu“, meint ein Arzt östlich von Wien und begründet damit die geringe Wahlbeteiligung von knapp 46 Prozent an den Ärztekammerwahlen der letzten Perioden.

Es gäbe zu wenig brauchbare Information aus der Kammer kritisiert hingegen eine Ärztin aus dem östlichen Niederösterreich, daher habe sie es schon aufgegeben, sich für die Ärztekammer zu interessieren. Allerdings brächte die anstehende Wahl nun die Chance auf Änderung. „Die Corona-Zeit hat die Ärzteschaft aufgerüttelt, vielleicht bringt das auch ein neues Selbstverständnis für die zukünftige Kammerführung in Niederösterreich“, so ihr hoffnungsfroher Nachsatz.

Uninformiertheit und Wadlbeißen

Man wisse auch jetzt im anlaufenden Wahlkampf (noch) nicht oder zu wenig, wofür die wahlwerbenden Gruppen stünden. Und laut auftretende Populisten, die Desinformation verbreiten, Zwietracht streuen und verbrannte Erde hinterlassen, könne man sowieso nicht wählen.

Die anderen „Gruppierungen, die bisher oder auch jetzt wieder antreten, werden hingegen meist gewählt, weil man in der Gruppe jemand kennt der auf der Liste steht“, so eine Medizinerin. „Das ist oft eine reine Frage von Sympathien, weniger von Programmen und Inhalten“. Denn: Die Inhalte der einzelnen Gruppierungen seien oft dieselben oder zumindest sehr ähnlich. Nur in der „Intensität des Wadlbeißens“ unterscheiden sich die Gruppierungen voneinander mitunter.

Chatgruppen vernetzen die Ärzteschaft

In den letzten Jahren habe sich wenigstens einiges in Sachen Vernetzung der Ärzte geändert: „Es gibt viele Chatgruppen, etwa auf WhatsApp oder auf Facebook, wo man Themen diskutieren kann. Dadurch hat man nicht mehr das Gefühl, auf weiter Flur als Einzelkämpferin zu stehen.“

Intransparenz

Eine ebenfalls wenig schmeichelhafte Einstellung zur Interessensvertretung der Ärzte hat eine Medizinerin aus dem Westen des Bundeslandes: „Die Kammerpolitik ist intransparent. Referate werden vererbt.“ Das sehe nach „Freunderlwirtschaft im großen Stil aus“.

Bedeutung der Kammer unterschätzt

„Ich glaube, vielen der Kollegen ist nicht klar, dass eine starke Standesvertretung stark zur Verbesserung der teilweise schwierigen Situation der Ärzte, vor allem im niedergelassenen Bereich, führt“, erklärt eine Ärztin aus dem Waldviertel. Die meisten in der Ärzteschaft seien „Einzelkämpfer, die sich keine Gedanken über standespolitische Arbeit machen“. Dabei sei die Arbeit der Kammer sehr wichtig und deren Bedeutung werde vielfach unterschätzt. „Vielleicht liegt das auch daran, dass man zu wenig öffentlich kommuniziert“, so die Vermutung, und: „mit bezahlten Einschaltungen in Medien ist es halt nicht getan“.

„Selbstvertretung“

Anders sieht das ein „Praktiker“ aus dem nord-westlichen Niederösterreich: „Die sogenannte Standesvertretung nimmt sich meist selbst wichtiger als jene, die sie vertreten soll.“ Man sei mit sich selbst beschäftigt, pflichtet ihm ein anderer bei. Wenn es um die Einhebung der Beiträge geht, seien  Pflichtmitglieder dann wieder „gut genug“.

Geringes Interesse

„Als Arzt hat man ohnehin das Gefühl, nichts beeinflussen zu können, weder als Kammer und schon gar nicht als Einzelner“, meint ein Mediziner aus der Wachau. Daher interessiere man sich auch nicht für die Kammer. Auch von ihm hört man wieder „niemand weiß, wofür wer in der Kammer steht“.

„Ich denke, dass die Standesvertretung als nicht effizient im Durchsetzen der eigenen Standpunkte erlebt wird“, so ein Arzt aus der Schneebergregion. Daher sei das Interesse an Kammer und Ärztekammerwahl enden wollend. Denn: „Als Arzt muss ich sowieso mein eigenes Ding verantworten und bin täglich mit neuen Ereignissen konfrontiert, die ich individuell entscheiden muss und wobei mir die Kammer nicht weiterhelfen kann.“

53 Mandate werden in der Ärztekammer nach der Wahl neu vergeben. 8.150 Ärztinnen und Ärzte sind in Niederösterreich wahlberechtigt. Wer genau kandidiert, steht am 28. Februar fest, da endet die Einreichfrist für Wahlvorschläge.

Foto: Die niederösterreichische Ärztekammer hat ihren Sitz in der Wiener Wipplingerstraße. (Foto: W. Pelz)

(wp/18FEB2022)

Link zu den Informationsseiten zur Wahl 2022 der Ärztekammer

Das Ergebnis der letzten Ärztekammerwahl in Niederösterreich aus dem Jahr 2017: Ärztekammerwahl 2017 Ergebnis