Wudy: Ende den hausärztlichen Dumping-Honoraren!

Eure Magnifizenz! Ihr Interview im Kurier vom 19.03. zeugt leider von wenig Basiswissen des Gesundheitssystems und stellt Kassenärzte in ein völlig falsches Licht.

Wenn Sie von 100 Euro Visitenhonorar schreiben, wird vermittelt, dass Allgemeinmediziner diesen Betrag für einen Hausbesuch erhalten. Schön wäre es!

In Wahrheit werden in Niederösterreich für eine Visite 39,08 Euro überwiesen. Davon bleiben nach allen Abzügen für die ärztliche Leistung außerhalb der Ordination knapp 10 (!) Euro netto. Vermutlich würden Sie dafür dienstlich nicht einmal einen Stift angreifen.

In diesem Honorar, aber auch in Ihren Aussagen spiegelt sich ein erschreckender Mangel an Wertschätzung gegenüber der Ärzteschaft im niedergelassenen Bereich, speziell der Allgemeinmediziner und Hausärzte, wider. Keine sonderliche Einladung an junge Ärzte, in den niedergelassenen Bereich zu gehen!

Nun stellen mehrere Spitäler auf Notbetrieb um. Raten Sie, wer sich um die von den Spitälern abgewiesenen Patienten kümmert? Richtig! Die niedergelassenen Ärzte. Wir funktionieren eben.

Die Gegenüberstellung der Ausbildungskosten von etwa 300 Abgängern der Medizinuni(s) pro Jahr in Höhe von erstaunlichen 150 Mio. Euro mit der Honorarsumme von 400 Mio. Euro für Niederösterreichs niedergelassene Kassenärzte, zeigt, welches Potenzial für Strukturmaßnahmen vorhanden wäre.

Ich ersuche höflich, Ihre missverständlichen Aussagen zeitnah richtigzustellen und verbleibe mit kollegialer Hochachtung,

Ihr

Dr. Max Wudy (Arzt f. Allgemeinmedizin in Bad Vöslau und Lehrender an der Karl Landsteiner Universität Krems) / Kurzversion 

KURIER-Artikel hier lesen: Jungärzte verlassen Österreich: Haben wir bald einen Ärztemangel?

 


 

 

Auch eine Langversion eines eher pointierten Leserbriefs gibt es, die Wudy an den Rektor der Wiener Medizin-Uni schickt:

Offener Brief an seine Magnifizenz, Herrn Universitätsprofessor Dr. Markus Müller,

Eure Magnifizenz,

vielleicht ist diese Anrede nicht mehr zeitgemäß, ich bin Jahrgang 1955, allerdings damit aufgewachsen. Nach der Durchsicht ihres Interviews, welches heute im Kurier erschien, scheint mir diese Anrede doch nicht verfehlt. Sie sind seit 2015 Rektor der größten Medizin Universität in Österreich und geraumer Zeit Vorsitzender des Obersten Sanitätsrat der Republik Österreichs. In dieser Funktion sollten Sie zumindest ein rudimentäres Basiswissen des Gesundheitssystems einbringen können. Dass dem nicht so ist, zeugt zum Beispiel Ihre Aussage über das Visitenhonorar der im solidarisch finanzierten System beschäftigten Allgemeinmediziner, kurz auch Kassenärzte genannt.

Die von Ihnen angesprochenen weniger als € 100.- sind zwar nicht ganz falsch, zeigen aber ein mehr als schlechtes Bild, dass sie anscheinend vom niedergelassenen Bereich haben. Das tatsächliche Visitenhonorar beträgt in Niederösterreich brutto 39,08 Euro, also tatsächlich etwas weniger als die von Ihnen zitierten € 100. Nach Abzügen der Unkosten und der Steuer bleiben netto weniger als zehn Euro über. Genau mit solchen Aussagen schaffen Sie es, die Bevölkerung gegen genau die Berufsgruppe aufzubringen, die für 89 % der Patienten allererste Anlaufstelle ist, und die das höchste Vertrauen aller Berufsgruppen besitzt.

Ich höre bereits am Montag die Stimmen am Telefon, die glauben, eine dringende Visite einfordern zu müssen, weil Bagatellerkrankungen wie Schnupfen seit vier Tagen dies in den Augen mancher solidarisch Versicherten nötig machen, bekäme der Arzt doch so € 100.- dafür.
Es liegt allerdings nicht am Honorar alleine, sondern auch an der mangelnden Wertschätzung durch die Politik, durch die Universitäten und auch durch unsere Fachkollegen. Gäbe es nicht die dauernde Anerkennung durch die uns anvertrauten Patienten, hätte sich bereits der Großteil der niedergelassenen Ärzte aus dem System verabschiedet.

Gerade heute haben mehrere Krankenhäuser angekündigt, ihre Abteilunge auf Notbetrieb umzustellen. Raten Sie einmal, wer den Rest behandeln darf. Aber es wurde im Vorfeld nicht mit dem niedergelassenen Bereich gesprochen. Die da draußen haben halt zu funktionieren. Wertschätzung und Kollegialität, das Wort Solidarität möchte ich gar nicht andenken, schaut anders aus.

Magnifizenz, irgendwo scheint mir an Universitäten der Blick auf die Realität verloren gegangen zu sein. Anlässlich der Promotion meiner Nichte im Herbst 2014 die mittlerweile als Fachärztin für Augenheilkunde tätig ist, sprach ihr Vorgänger, Professor Dr. Wolfgang Schütz, davon, dass mit der Studieneingangsprüfung die schwerste Hürde des Studiums genommen wurde. Ich glaube es ist müßig zu sagen, dass ein Brief, den ich in diesem Zusammenhang an ihn richtete, nicht einmal beantwortet wurde. Aber bereits damals zeichnete sich für mich die Zukunft der universitären Ausbildung ab. Leider wurden meine Erwartungen übererfüllt.

Ich möchte Ihnen beipflichten, dass wir in Österreich sicher keinen quantitativen Ärztemangel haben. Aber auch da agieren Sie mit falschen Zahlen. Mit Stand 2020 hatten wir genau 47 674 Ärzte in Österreich registriert, heute sind es knapp unter 50 000, eine Differenz von 10 % als Basis der Entscheidungen des Obersten Sanitätsrates scheint anscheinend vernachlässigbar.

Weiters sprechen Sie von Ausbildungskosten in der Höhe von € 542.000.- pro Arzt. Das mag sein. Bei nur 300 Abgängern pro Jahr bedeutet das Kosten von mehr als € 150 Millionen, die dem Sozialsystem entzogen werden. Zum Vergleich beträgt die gesamte Honorarsumme aller niedergelassenen Kassenärzte in Niederösterreich € 400 Millionen. Mit dieser dem Sozialsystem entzogenen Summe könnten Strukturreformen geschaffen werden, die unser System vom vermeintlich besten zum tatsächlich besten Gesundheitssystem bringen würden.
Eure Magnifizenz, ich erwarte mir von Ihnen zeitnah eine Richtigstellung Ihrer Aussagen und verbleibe als Kollege und als Lehrender der Karl Landsteiner Universität Krems

mit kollegialer Hochachtung

Dr. Max Wudy

Arzt für Allgemeinmedizin

Bad Vöslau

KURIER-Artikel hier lesen: Jungärzte verlassen Österreich: Haben wir bald einen Ärztemangel?