Gemeindeboss will Ärztevertretung in die Pflicht nehmen

Manchmal knirscht es ordentlich im Gebälk zwischen Ärzten und Bürgermeistern. Zumindest in manchen Gemeinden Niederösterreichs. Etwa wenn es, wie aktuell, um Themen wie Wochenenddienste, die Ansiedelung von Ordinationen oder die Totenbeschau geht.

Johannes Pressl ist oberster Vertreter jener Partei, die 452 von 573 möglichen Bürgermeisterämter in NÖ innehält. Im Gespräch mit dem Autor sieht der VPNÖ-Mandatar die Gemeinden „in einer Zwickmühle“, wenn es um das Gesundheitssystem in Niederösterreich geht.

Vorort-Versorgung ist Sache von ÖGK und Ärztekammer“

„Gemeinden zahlen hohe Beträge für die NÖ-Krankenkassenanstalten (NÖKAS) und den NÖ Gesundheits- und Sozialfonds (NÖGUS) und leisten damit einen großen Beitrag für das Gesundheitsversorgungswesen“, so Pressl. Bei der Vorort-Versorgung in den Gemeinden, also die der niedergelassenen Ärzteschaft, sieht er die Zuständigkeit „eindeutig bei Gesundheitskasse (ÖGK) und Ärztekammer“. Organisatorisch wie auch finanziell. Wenngleich Gemeinden nicht selten die Ansiedelung von Ärzten durchaus auch großzügig unterstützen.

Pressl: „Brauchen Versorgungssicherheit!“

Für den dieser Tage oft kritisierten Mangel an Ärzten, insbesondere im ländlichen Bereich, ortet Pressl „gravierende Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden“. Bei „gut gemeinten Änderungen“ in der Ausbildung zum praktischen Arzt bewirkte man das Gegenteil. Jetzt stehe man vor dem Phänomen, zu wenig Allgemeinmediziner zu haben.

Seitens der Gemeinden werde man Druck machen, um diesen Missstand zu beheben. Jüngst habe er ein Gespräch mit dem 2022 neu gewählten NÖ-Ärztekammerpräsidenten, Dr. Harald Schlögel, geführt, „um die Thematik aufzuarbeiten“. Pressl ortete Verständnis für die Anliegen der Gemeinden hinsichtlich Versorgungssicherheit der Bevölkerung durch niedergelassene Ärzte. Vor allem auch beim Wochenenddienst.

PVZ nicht Weisheit letzter Schluss“

Konsens fand Pressl in der Diskussion mit dem obersten Ärztevertreter Niederösterreichs darin, dass sogenannte Primärversorgungszentren (PVZ), die von eigens eingesetzten Managern geleitet und mitunter von Investoren finanziert werden, „nicht der Weisheit letzter Schluss“ seien.

Gemeindebund will Ärztevertretung „in die Pflicht“ nehmen

Er gehe davon aus, dass die Ärzteschaft „das Konzept des eigenständigen Arztes vorantragen wolle“. Man werde daher in kommenden Verhandlungen die Ärztevertretung in die Pflicht nehmen, denn: „wenn wir sehen, dass PVZ und Anstellungen von Medizinern bei gemeinsamen Trägern, nicht im Sinne der Ärztekammer sind, müsste seitens dieser danach getrachtet werden, wieder eine flächendeckende Gesundheitsversorgung durch den niedergelassenen Bereich zu garantieren.“

Ärztekammer muss Verantwortung wahrnehmen“

Die Ärztekammer poche immer wieder auf Mitspracherecht und Verantwortung. „Wenn man Verantwortung tragen oder nicht an andere (z.B. an die Politik, Anm.) abgeben will, dann muss man sie auch wahrnehmen“, fordert Pressl in Richtung Ärztevertretung. Das werde seitens der Gemeindevertreter „auch ein schwerwiegender Diskussionspunkt sein“.

Er gehe „schon davon aus, dass im Sinne einer Eigenverantwortung die Ärztekammer nicht nur sagt, man richte es sich, sondern diese auch einen Versorgungsauftrag“ wahrnehme. „Das stelle ich ihnen auch anheim“, so der NÖ-Gemeindebundpräsident nicht ganz ohne Emotion. Damit dürfte er Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aus der Seele sprechen, die sich in zahlreichen Gesprächen ähnlich äußerten.

Digitale Diagnostik als Pilotprojekt

Es werde, so Pressl, auch in Zukunft „in manchen Regionen nicht die notwendige Dichte an Ärzten geben“. Im Austausch mit der ÖGK habe er hier „die Frage der Digitalisierung als Zwischenlösung erörtert“. „Digitale Diagnostik“ könne gerade an Wochenenden zur Anwendung gelangen. „Derzeit scheitern wir mit diesem Vorhaben aber an der emotionalen Akzeptanz in der Bevölkerung“. „Vielleicht“, so schlägt der Gemeindevertreter vor, „sollten wir das einmal als Pilotprojekt in einigen wenigen Regionen probieren“. Von einem mobilen Arzt, der mit einem Bus in unbetreute Regionen kommt, hält er derzeit nichts. Eine standortgebundene Arztordination habe als verlässliche Infrastruktur eine andere Qualität.

Problematik Totenbeschau“

Immer wieder kommt es vor, dass Verstorbene stunden-, in seltenen Extremfällen sogar tagelang, tot an Ort und Stelle bei deren Angehörigen verbleiben, weil die Bestatter auf die Erlaubnis zum Abtransport warten. Diese wird im Normalfall ein Arzt erteilen. Falls gerade niemand aus der Ärzteschaft verfügbar ist, etwa wegen Urlaubs, einer vollen Ordination, krankheitsbedingt oder als Notarzt im Einsatz, kann das unangenehm werden. Hier sind die Gemeinden und ihre Bürgermeister gefordert. Es liegt an ihnen, die Organisation um Todesfeststellung (mit damit einhergehender Erlaubnis zum Abtransport des Leichnams in den Kühlraum) und Totenbeschau (der eigentlichen Freigabe für eine Bestattung) personell zu optimieren. Derzeit bestünden viele Unklarheiten, die Pressl gemeinsam mit Ärzteschaft und Bestattern beseitigen wolle.

„Abtransport von Verstorbenen nach Todesfeststellung“

„Auch wenn Ärzte immer wieder höhere Gebühren für die Totenbeschau fordern, wäre das nicht das eigentliche Problem“, so Pressl, da dies für die Gemeinden, die die Kosten zwischenzeitlich übernehmen, „nur ein Durchlaufposten“ sein sollte und an die Angehörigen weiter verrechnet werde. Es gebe aber „ein paar Lösungsansätze“, gibt sich Pressl zuversichtlich: „Etwa dass man die Möglichkeit schafft, die Todesfeststellung zügig an Ort und Stelle zu machen und die eigentliche Totenbeschau zu einem späteren Zeitpunkt nachholt.“ Die Bestatter wären dann in der Lage den Leichnam im Anschluss abzuholen und in die nächste Aufbahrung zu bringen. Dort könnte dann der eigentlich für die Totenbeschau vorgesehene Arzt zeitlich flexibel zu Werke gehen. „Das würde es den Totenbeschauärzten organisatorisch erleichtern, nicht auch am Sonntag Abend oder bei voller Ordination zum Einsatz zu kommen“.  Pressls Nachsatz: „Die Gesetzesgrundlage dafür müsste allerdings erst geschaffen werden.“

Ihm, Pressl, gehe es um Konsens und er wolle bei den kommenden Verhandlungen für alle tragbare und gute Lösungen finden.

(wp/22AUG2022) Artikel wird im Bedarfsfall aktualisiert. 

Niederösterreichs Gemeindebundpräsident Johannes Pressl wurde 1970 in Amstetten als erstes von fünf Kindern geboren. Er wuchs in St. Georgen im Ybbsfeld, am Hof seiner Eltern, Lorenz und Gertrude Pressl, auf. Pressl studierte an der Universität für Bodenkultur in Wien und absolvierte zudem die Ausbildung zum Unternehmensberater. 2005 wurde der seit 1995 im Gemeinderat Ardaggers tätige Mandatar zum Bürgermeister ebendort gewählt. Im Juni 2021 löste Pressl Alfred Riedl nach dessen 20jähriger Tätigkeit als Gemeindebundpräsident Niederösterreichs ab.