Hausärztin Dr. Cornelia Lechner-Tschanett ist eine engagierte Medizinerin, die eine Ordination in Ebreichsdorf betreibt. Sie ärgert sich in einem offenen Brief über die Art und Weise, wie die Politik der Ärzteschaft die Schuld an den enormen Problemen im Gesundheitswesen „umhängen“ will. Sie analysiert in dem Schreiben die aktuelle Situation und führt viele Gründe dafür an. 

Sehr geehrter Herr Gesundheitsminister Rauch,

sehr geehrter Landeshauptmann Doskozil!

Sehr geehrte PolitikerInnen aller Farben!

Erfreulicherweise bricht eine breite Diskussion über die Probleme des Gesundheitswesens an.

Weniger erfreulich ist, dass diese von Beginn an in guter österreichischer Manier eine Sündenbock-orientierte Debatte ist. Zum Sündenbock wurde die Ärzteschaft erkoren. Es ist sehr einfach, mit derlei Argumenten viele Sympathien in der Bevölkerung zu gewinnen. Denn wohl nahezu jeder kennt die Problematik, zu erkranken, vielleicht auch noch am Wochenende, und auf völlig überfüllte Wartezimmer zu treffen, oder erst gar keinen Arzt aufzufinden der geöffnet hat. Also ist die Argumentation banal. „Ärzte sind schuld“ – und das muss radikal geändert werden!

Die Wut darüber ist leicht entflammbar und eignet sich hervorragend, Zuspruch zu ernten unter den Menschen.

Ich schreibe diese Zeilen als kleine Hausärztin. Und zwar im Interesse meiner PatientInnen. Denn ich mache mir mittlerweile große Sorgen. Und damit stehe ich mit Sicherheit für die Sorgen vieler ÄrztInnen in diesem Land!

Bevor man sich der in Österreich altbewährten Neiddebatte auf subtile Weise bedient, indem man der Ärzteschaft unterstellt, aus Angst vor Konkurrenz die Versorgung der Bevölkerung zu blockieren, oder schlichtweg aus „Wohlstands-Faulheit“ keine Wochenenden arbeiten zu wollen, müssen wir reden!

Und zwar präzise und ins Detail analysierend.

Ich gehöre einer Berufsgruppe an, für die es bis vor kurzer Zeit eine Selbstverständlichkeit war, jeden Monat mehr Überstunden zu absolvieren als eine durchschnittliche Vollzeit-ArbeitnehmerIn in Österreich an Sollstunden zu leisten hat. Diese Interessen der anderen ArbeitnehmerInnen werden zurecht von ihren Interessensvertretungen gewahrt.

Mit der Umsetzung des Ärztearbeitszeitgesetzes wurde diese Situation einigermaßen entschärft, viele Überstunden stehen für zahlreiche Untergruppen der Ärzteschaft dennoch an der Tagesordnung. Was sich damit verschärft hat, ist der Mangel an ärztlicher Arbeitskraft. Dieser Mangel wiederum hat zahlreiche Gründe. Nicht zuletzt ist er AUCH, aber NICHT NUR bedingt durch die in Gang gekommene Pensionierungswelle. Dieser Personalmangel übrigens trifft nicht allein die Ärzteschaft, er betrifft auch die Pflege ebenso wie er sich quer durch alle Branchen zieht. Diesen anderen Berufsgruppen Faulheit zu unterstellen würde wohl niemand wagen.

Zum vermeintlichen Wohlstand der angeblich so gut verdienenden Ärzteschaft sei gesagt – wir liegen im internationalen Vergleich weit hinten. Zudem muss hier eine Unterscheidung getroffen werden zwischen niedergelassenen und angestellten Ärzten.

Da ich als Hausärztin mich zu den niedergelassenen Ärzten zähle, möchte ich meine Lebensrealität wiedergeben.

Ich verdiene nicht über die Maßen schlecht, doch keineswegs über die Maßen gut. Den Schwenk zu meinem Verdienst mache ich überhaupt nur, weil die Unsitte, unseren Verdienst dem öffentlichen Diskurs auf eine höchst abschätzige Weise preiszugeben, in Österreich schon jahrelang an der Tagesordnung steht. Das Wort „Verdienst“ induziert, dass man dieses Geld nicht geschenkt bekommt, sondern sich verdienen muss.

Und auf welche Weise man sich als Hausarzt in Österreich sein Geld verdienen muss, findet im internationalen Vergleich kaum gleichgelagerte Beispiele. Wir sehen 100, 150 oder in letzter Zeit oft weit über 200 Patienten. Jeden Tag. Nicht pro Woche. Sondern täglich.

Es gibt kein vergleichbares Land außerhalb der Entwicklungsländern in dem man sich mit einer 3-Minuten-Medizin zufrieden gibt.

Nun sind wir auch beim aktuellen Inhalt der derzeitigen Diskussion angelangt: die Ärzte müssten doch froh sein, wenn PVES entstehen und damit weniger Patienten zum einzelnen Hausarzt kommen. Ja, wäre ich ein kleines Mädchen das sich naiv etwas wüschen darf von der guten Fee – dann wäre es genau das! Weniger Patienten, dafür wesentlich mehr Zeit für den Einzelnen! Da ich jedoch eine erfahrene Hausärztin bin, weiß ich: wenn etwas in Österreich partout nicht bezahlt werden will, dann ist es die Zeit am Patienten!

Die Kassenhonorare in Österreich sind äußerst unterschiedlich gestaltet in den einzelnen Bundesländern. In Niederösterreich erhält ein Arzt runde 9 Euro für eine Konsultation. Ich sage deswegen rund, weil wir das nie genau wissen. Komplexe Regelungen und Deckelungen machen das höchst unübersichtlich, wir sprechen hier jedoch von marginal mehr oder weniger. Und wir sprechen von BRUTTO. Auch hier muss man einmal wirklich dazusagen, was Brutto bedeutet: davon bezahlen wir Miete, Strom, Personal, kurzum – so gut es geht – ein zeitgemäßes Ordinations-Setting. Die Investitionen liegen allein bei uns. Wie die meisten meiner KollegInnen, habe ich diese Ordination, sprich – Infrastruktur – aus meinem Geld auf mein Risiko erschaffen.

Nun kommt die Politik und sieht im PVE ein Allheilmittel für die Probleme des Gesundheitswesens. Setzt man PVEs wahllos um, so wird dies den wirtschaftlichen Untergang zahlreicher Einzelordinationen zur Folge haben.

Weil das System des Kassenarztes auf Masse aufgebaut ist. Hinzu kommt, dass derzeit die Inflation höher ist als die Anhebung der Honorare. Diese Kluft wird auf kurz oder lang ebenfalls ihren Tribut fordern.

Es ist also nicht die Angst vor Konkurrenz, sondern die Angst um die Existenz, die derzeit auf vielen niedergelassenen Ärzten lastet. PVEs haben andere Vertragsbedingungen als Einzelordinationen.

Allein der Faktor ZEIT bleibt auch hier wieder auf der Strecke. Wir Hausärzte sehen die Probleme unserer Patienten sehr detailliert. Man muss einmal auch sagen, dass intensive und aufwendige Bemühungen um den Patienten sich kostentechnisch in der Art der Finanzierung in unserem Gesundheitssystem schlicht und ergreifend nicht auswirken. Es macht für die Krankenkasse zum heutigen Zeitpunkt keinen Vorteil, wenn ich als Hausarzt viel Zeit und Energie in notwendige und komplexe Therapieeingriffe investiere und damit einen TEUREN KRANKENHAUSAUFENTHALT einspare.

Nein, die derzeitige Struktur des Gesundheitswesens hat mitunter sogar höhere Kosten dadurch zur Folge.

In dem Druck enorm hoher Patientenzahlen und gedeckelter Honorierung unserer Leistungen geschieht also, was die logische Konsequenz einer solchen Struktur sein muss: der Zulauf in Spitäler ist enorm. Es ist angesichts der Zeit und der Honorierung nicht möglich, so manchen Patienten zuhause zu führen.

Die Spitäler sind daher teils überlastet mit PatientInnen, die dort nicht zwingend hingehören. Und können Ihren Kernaufgaben immer weniger gut nachkommen.

Während also ein Hausarzt in anderen europäischen Ländern etwa 20 Patienten pro Tag betreut und dafür Gehälter erhält, die sich in etwa in der Höhe des UMSATZES einer hausärztlichen Ordination bewegen, ist der Österreichische Arzt gezwungen, Hundertschaften von Patienten durchzuschleusen, um überleben zu können.

Doppelläufigkeiten und nicht zweckgemässe Nutzung einzelner Einrichtungen des Gesundheitswesens sind die logische Folge eines derartigen Systems.

Nun wird oft argumentiert – junge ÄrztInnen möchten gerne in solchen Einrichtungen wie PVEs arbeiten. Work-Life-Balance. Ja. Jedoch bringen die Jahre auch Erkenntnisse mit sich: man gewinnt als Arzt sowohl Erfahrung medizinischer Natur als auch in den Winkeln unseres Systems. Und so kann und wird es auch nie befriedigend sein, einem Patienten mangels Zeit nicht zu 100 Prozent gerecht werden zu können. Die Natur des Menschen ist komplex, und um einen Patienten erfolgreich und medizinisch und menschlich gut zu führen ist Zeit einer der wichtigsten Faktoren, Zeit, die letztlich auch Kosten spart.

Was also geschieht? Unzählige Ärztinnen verwirklichen ihr Können und ihren hohen Grad an medizinischer und menschlicher Kompetenz als WahlärztInnen. Und unzählige PatientInnen, die dieses Problem ebenfalls erkannt haben, nehmen diese Angebote nur allzugerne wahr. Traurig an dieser Stelle, dass nicht jeder und jedem der Zugang zu Ärzten, die sich Zeit nehmen KÖNNEN, weil sie ihr Honorar entsprechend gestalten, finanziell möglich ist.

Zuguterletzt möchte ich auf einen Punk eingehen, der zunehmend zur Belastung wird: das Ansehen, der Respekt und die Wertschätzung der Gesellschaft in Österreich einem Arzt gegenüber.

Durch die sich seit Jahren wiederholende mediale Hetzjagd auf ÄrztInnen erleben wir im täglichen Umgang unfassbare Übergriffe von PatientInnen auf uns persönlich. Respekt wird pulverisiert. Wir sind geldgierige Ärzte und man verfährt mit uns zum Teil in einer Art, die Bücher füllen würde. Der Grad der psychischen Belastung dieser Art des Umgangs ist ja nur eine Seite. Der andere und viel wichtigere Aspekt ist jedoch, dass Menschen, die durch die Art der medialen Kommunikation eine gewisse Verachtung für Ärzte empfinden, auch deutlich weniger Compliance bei Therapien und Genesung zeigen. Ein Faktor, der bei der ohnehin nicht sehr hohen allgemeinen Gesundheitskompetenz mancher Bevölkerungsgruppen drastische Folgen hat.

Denn wenn man als Arzt zurückgeschleudert bekommt, man habe lediglich wirtschaftliche Interessen wenn man ein Medikament verordnen möchte zur Verhinderung dramatischer Folgen eines Zustandes, und regelmäßige Kontrollen vorschlägt, dann weiß man wohin der Weg führt. In unumkehrbare Spätschäden der häufigsten Zivilisationserkrankungen. Und das passiert ohnedies täglich, und nimmt vor dem Schauplatz solcher Anpatzereien wie derzeit nochmal zu.

Bevor man also uns Ärzten den schwarzen Peter zuschiebt für die wachsende Krise des Gesundheitswesens – ist an dieser Stelle schon auch der weniger bekannte und beleuchtete Aspekt dieser Sache offen zu diskutieren: Zeit pro Patient ist nicht bezahlt, im Gegenteil, je mehr PatientInnen wir versorgen, nicht zuletzt durch immer mehr unbesetzte Kassenstellen, umso weniger verdienen wir gemessen an der Arbeit.

Und jedwede Zwangsphantasien im Bezug auf Ärzte sollten einmal nüchtern betrachtet werden: warum gehen so viele junge ÄrztInnen ins Ausland? Weil man Ihnen dort mit Respekt und Wertschätzung begegnet, keine Spur von völlig absurden und beleidigende Distanzlosigkeiten, weil man Ihnen eine angemessene Bezahlung für eine hoch komplexe und verantwortungsvolle Tätigkeit zukommen lässt und obendrein auch noch gönnt, und weil sie Ihre Arbeit am Patienten als qualitativ hochwertig erleben durch die zur Verfügung stehende Zeit.

Weil das Interesse, einen Patienten möglichst zuhause zu behandeln und nicht im Spital, und auch Präventionsmedizin zu betreiben, in anderen Ländern nicht der alleinige idealistische Wunsch eines Arztes ist, sondern ein gemeinschaftliches und öffentliches Interesse des Gesundheitswesens.

Wenn man also die Richtung im österreichischen Gesundheitssystem wieder dort hin korrigiert, dann wird man niemanden zwingen müssen, den geliebten Beruf in unserem schönen Land auszuüben!

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Cornelia Lechner-Tschanett

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